Mehr als Aura und Erlebnis. Das Museum als Denk-Ort

Museen sind meist einer bestimmten Disziplin verpflichtet: den Naturwissenschaften, der Technik- oder Kunstgeschichte, der Volkskunde etc. Neu zu beschäftigende KustodInnen, KuratorInnen und DirektorInnen werden aus den entsprechenden Studienfächern rekrutiert – benötigt man für die Arbeit an und mit den Sammlungen doch die entsprechende Expertise. Das führt wir von selbst zu einer je nach Museumstyp spezifischen Art und Weise der Argumentation und Präsentationsformate. Damit aber verschenkt das Museum ein großes Potenzial. Eine Ausstellung erlangt ihre Attraktivität nicht allein durch disziplinäres Wissen, die Aura des Einzelobjekts, beeindruckende interaktive Multimediaangebote oder ausgefallene Vermittlungsaktivitäten. Ziel von Ausstellungen sollte es sein, den Besuchern dabei zu assistieren, sich in lustvolle Distanz zu den eigenen Erwartungen, Gewissheiten und Gewohnheiten zu begeben und so zum Denken quer zu vertrauten Mustern anzuregen. Um auch in Zukunft Bestand und gesellschaftliche Relevanz zu haben, täten Museen gut daran, sich stärker durch Themen und Thesen zu profilieren. Ausstellungen könnten nicht bloß Sammelstätten von historischen Dingen und geltendem Fachwissen sein, sondern lebendige Denk-Orte für Besucher unterschiedlichster Interessen und Vorbildung.


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Dr. Daniel Tyradellis, geboren 1969, Philosoph und Kurator, bewegt sich in seinen Arbeiten programmatisch zwischen Wissenschaft und Kunst. Nach einen Studium der Philosophie und Wissenschaftstheorie war Tyradellis langjähriges Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs »Codierung von Gewalt im medialen Wandel« an der HU Berlin. 2004 promovierte er bei Friedrich Kittler mit einer Studie zur Genese der Phänomenologie Edmund Husserls im Kontext der mathematischen Grundlagenkrise. Gegenwärtige Forschungsschwerpunkte: Immanenzphilosophie, Theorie und Praxis des Kuratorischen. Seine international beachteten Ausstellungen versteht Tyradellis als Experimente eines Denkens im Raum, das museale Präsentationsmöglichkeiten gezielt nutzt, um Fragestellungen einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion zu öffnen. Aktuelle Publikation: Müde Museen. Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten (2014): Was heißt uns Denken? Ein Gespräch, gem. mit Jean-Luc Nancy (2013). Ausstellungen u.a.: »10+5=Gott«, Jüdisches Museum Berlin 2004; »SCHMERZ«, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart/Berliner Medizinhistorisches Museum 2007; »WUNDER«, Deichtorhallen Hamburg 2011/12; »MS Reichtum«, Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2013; »Echte Gefühle: Denken im Film«, KW – Institute for Contemporary Art, Berlin 2014; »Freundschaft«, Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2015.